Verschiedenen Themen der psychoanalytischen Praxis und der Berufspoltitk

Kategorie: Digitale Psychologie (Seite 1 von 1)

Gefangen in einer Blase – ist der Ausbruch möglich?

Wir leben in einem ständigen Strom von Informationen, Nachrichten und Bildern, die sich unaufhörlich über unsere Bildschirme ergießen. Doch sind wir gefangen in einer Blase, der sogenannten „Bubble“, die diesen ständigen Strom für uns filtert und anpasst. In diesem Blogbeitrag tauchen wir tiefer in die Welt der „Bubbles“ auf Social Media ein, um ihre Bedeutung, Auswirkungen und Herausforderungen zu erkunden.

Der Begriff „Filter Bubble“ wurde von Eli Pariser 2011 in seinem Buch The filter bubble: What the Internet is hiding from you. geprägt. Mit dem Begriff ist gemeint, dass die Informationen, die wir auf Social Media erhalten, für uns nach unseren Präferenzen gefiltert sind. Jede Person befindet sich in einer eigenen Bubble, sobald sie sich auf Social Media bewegt. Heutzutage dient Social Media nicht mehr nur als Unterhaltungsmedium, sondern ist für viele die primäre Anlaufstelle, um Informationen zu erhalten. Hier kann dann eine Vernetzung mit Personen stattfinden, die ähnliche Präferenzen und Ansichten haben. Allerdings sind die Filterfunktionen der Bubble nicht durchschaubar, als Nutzer*in kann man nur Vermutungen anstellen nach welchen Kriterien die Personalisierung stattfindet. Die Filterfunktionen dienen den Plattformen. Zum einen soll dadurch vermieden werden, dass Langeweile entsteht, sodass Nutzer*innen möglichst lange auf Social Media verweilen und weitere Daten gesammelt werden können. Zum anderen dient die Personalisierung des Contents dazu, dass gezielt Werbung gezeigt werden kann, die das Konsumverhalten bestärken soll. Die Personalisierung ist beispielsweise daran erkennbar, dass die Suchmaschine Google für jede Person andere Ergebnisse ausspucken kann bei gleichem Suchbegriff. Es gibt somit kein „Standard-Google“, welches dieselbe Anzahl an Ergebnissen in der gleichen Reihenfolge anzeigt. Es entstehen Informationsblasen, in denen einseitige Informationen geteilt werden, da zusätzliche oder andere Informationen den Nutzenden gar nicht angezeigt werden, wodurch Meinungsblasen entstehen. Personen sehen auf Social Media eine verzerrte Abbildung der Realität: die Meinungen, die sie favorisieren sind hier oft überrepräsentiert, während andere Meinungen herausgefiltert und damit gar nicht angezeigt werden. Dies führt zu Selbstverstärkungseffekten, da Personen sich bekräftigt in dem fühlen, was sie denken. So können sich beispielsweise Verschwörungstheorien und Fake News verbreiten. In Filterblasen herrscht wenig Diversität, sowohl an Informationen, Meinungen als auch an anderen Quellen. Es entsteht eine soziale Homophilie und auch die Kreativität geht verloren, da es an Neuem, an Inspiration mangelt. Menschen vernetzen sich untereinander, jedoch werden sie dabei von anderen abgeschottet.

Psychologisch interessant ist die Frage, ob beispielsweise Menschen mit Depressionen in gleichen Kreisen unterwegs sind, da sie durch den Algorithmus in ähnlichen Blasen sind, und sich dadurch die Depression verstärken kann. Leider gibt es hierzu noch ungenügend empirisches Material. Vor allem in Bezug auf die Social-Media-Abhängigkeit von Jugendlichen (siehe DAK-Studie) wären Studien hierzu sicherlich aufschlussreich.

Jedoch gibt es verschiedene Möglichkeiten, wie man aus der eigenen Bubble ausbrechen kann. Eine wenig bis gar nicht personalisierte Suchmaschine erlaubt ungefilterte Suchergebnisse, wodurch der Verzerrungseffekt verkleinert werden kann. Auch ist es ratsam, gelegentlich den Browserverlauf und die Suchhistorie zu löschen. Auf Webseiten kann die Nutzung mancher Cookies verweigert werden, wodurch ebenfalls weniger Daten gesammelt und gespeichert werden. Zudem ist es sinnvoll, vielen verschiedenen Personen auf Social Media zu folgen, um verschiedenen Meinungen und Perspektiven zu erleben. Weiterhin sollte kritisch hinterfragt werden, ob die verwendeten Quellen seriös sind bei der Informationsweitergabe.

Für die Zukunft bleibt abzuwarten, wie sich die Algorithmen zur Personalisierung weiterentwickeln. Jedoch ist es sicherlich von Vorteil, wenn man bereits heute damit beginnt, über die Grenzen der eigenen „Bubble“ zu blicken.

 

 

Pariser, E. (2011). The filter bubble: What the Internet is hiding from you. penguin UK.

Messingschlager, T., & Holtz, P. (2020). Filter bubbles und echo chambers. Die Psychologie des Postfaktischen: Über Fake News,„Lügenpresse “, Clickbait & Co., 91-102.

 

Quantified Self Movement – Die Vermessung des Selbst

Die Quantified Self (QS) Bewegung entstand in den späten 2000er Jahren und hat in den letzten Jahren deutlich an Popularität gewonnen. Mitglieder dieser Bewegung erfassen und analysieren Daten über sich selbst, um ein besseres Verständnis für ihren Körper zu erhalten und um ihre Lebensqualität zu verbessern. Es gibt diverse Gründe dafür, unter anderem chronische Erkrankungen, Freude am Analysieren der eigenen Daten, Zugehörigkeit zu der Community, höhere Motivation durch die Möglichkeit der Selbstverbesserung und viele mehr. Hierbei können verschiedene Aspekte des alltäglichen Lebens gemessen werden, wie beispielsweise Fitness, Essverhalten, Stimmung, Schlaf oder Produktivität. Smartphones, Smartwatches und Fitnessarmbänder können diese Messungen erleichtern, sowie Anleitungen im Internet in Form von Tutorials. Zudem gibt es inzwischen zahlreiche Apps, die das Aufzeichnen und Analysieren der persönlichen Daten vereinfachen. Aber auch klassische Tagebuchaufzeichnungen oder das Festhalten der Daten in Tabellen sind gebräuchliche Methoden der QS-Bewegung. Diese Daten lassen die Personen Trends und Muster erkennen und beeinflussen die Eigenwahrnehmung und können Verhaltensänderungen bewirken. Durch das Erheben der Daten wird eine Vergleichbarkeit geschaffen mit anderen Personen, die diese Daten ebenfalls erheben.

 

Das softwaregestützte Sammeln von Daten gerne durch „Gamification“ vereinfacht. Durch spielerische Features werden die Nutzer dazu animiert, ihre Gewohnheiten zu optimieren, indem sie beispielsweise ihren Highscore knacken oder die nächste Auszeichnung anstreben sollen. Diese fördern auch die Möglichkeit des direkten Vergleiches und ermöglichen Wettkämpfe um die besten Werte unter Freunden aber auch Fremden.

 

Für viele Mitglieder der QS-Bewegung ist das Selbst-Tracking zu einer Art Freizeitgestaltung geworden. Sie bezeichnen diese Tätigkeit meist als „Lifelogging“ und fühlen sich wohl in der Position über ihren Körper Bescheid zu wissen und ihn einschätzen und steuern zu können, um ihn zu einer besseren Version seiner selbst zu machen.

 

Allerdings gibt es an der QS-Bewegung einiges zu kritisieren. Nutzer*innen vertrauen auf die Daten, die Smartgeräte für sie sammeln und stellen diese oftmals nicht infrage. Dadurch wird diesen und den Herstellern eine Macht verliehen. Denn die Daten können durchaus verzerrt sein und statt medizinischen Maßstäben zu entsprechen werden teilweise strategische Marketing-Ziele verfolgt. Aber auch medizinische Applikationen vergleichen Werte oftmals nur mit der Norm, anstatt individuell anpassbar zu sein. Außerdem sollte man sich der Möglichkeiten des Datenkaufs oder -klaus der freiwillig gesammelten Daten bewusst sein. Zudem ist die Gefahr besonders hoch, wenn die Daten in einer Cloud gespeichert werden, anstatt nur auf dem Smartphone. Fragwürdig ist auch, wenn die verwendete Software kostenlos ist.
Viele kritische Stimmen äußern auch die Frage, ob die Selbstvermessung ein Symptom für geringes Selbstvertrauen darstellt. Durch die Datensammelwut entstehen soziale Vergleiche, die darauf abzielen, herauszufinden, ob man sich von anderen unterscheidet oder ob man der Norm entspricht. Hier kann es auch zu der Entwicklung einer Sucht kommen, da Verhaltensweisen angepasst werden, um der gängigen Norm zu entsprechen.

 

Zusammenfassend ist zu sagen, dass die Quantified Self Bewegung und das Vermessen des eigenen Körpers zu einer Verbesserung des eigenen Wohlbefindens führen kann, wenn diese Freizeitbeschäftigung reflektiert durchgeführt wird. Vor allem sollte man sich dabei informieren, wie die eigenen Daten gespeichert werden und wer darauf Zugriff haben könnte.

 

Im psychotherapeutischen Kontext lässt sich diese Vermessung des Selbst mit der Führung eines Tagebuchs in der Verhaltenstherapie vergleichen. Das Tagebuch wird direkt zu Beginn der Therapie erklärt und übergeben und auch hier können verschiedene Informationen gesammelt werden, wie Gefühle, Gedanken und Körper- und Verhaltensreaktionen in verschiedenen Situationen. Die gesammelten Daten können als Gesprächsgrundlage dienen und geben Aufschluss darüber, ob es zu Veränderungen während der gesamten Therapiezeit kommt und ob diese konstant sind. Das Tagebuch bietet den Vorteil, dass die Informationen aktuell in oder kurz nach der entsprechenden Situation, aufgezeichnet werden. Allerdings kann es auch hier dazu kommen, dass diese Informationen selektiv oder gar nicht aufgezeichnet werden. Dies ist aber trotzdem eine gute Möglichkeit, in den Therapiesitzungen darüber zu sprechen und die Gründe dafür zu erfahren.

 

Das Sammeln von Informationen über das eigene Selbst kann Aufschlüsse über die eigenen Gewohnheiten und den eigenen Körper geben. Es ermöglicht die Reflexion und erlaubt es, gezielt Veränderungen anzustreben. Dies kann sowohl in einem therapeutischen oder medizinischen Rahmen als auch als Freizeitbeschäftigung stattfinden.

 

Quellen:
Barcena, M. B., Wueest, C., & Lau, H. (2014). How safe is your quantified self. Symantech: Mountain View, CA, USA, 16.

 

Bernard, A. (2019). Komplizen des Erkennungsdienstes: Die ‚Quantified Self ‘-Bewegung und die Vermessung des eigenen Körpers. Beratung und Digitalisierung: Zwischen Euphorie und Skepsis, 129-156.

 

Duttweiler, S., & Passoth, J. H. (2016). Self-Tracking als optimierungsprojekt. Leben nach Zahlen. Self-Tracking als Optimierungsprojekt, 9-42.

 

Lee, V. R. (2014). What’s happening in the“ Quantified Self“ movement?. ICLS 2014 proceedings, 1032.

 

Margraf, J. (2009). Lehrbuch der verhaltenstherapie (Vol. 3). S. Schneider, & G. Meinlschmidt (Eds.). Heidelberg: Springer.